J. Dinllinger u.a. (Hers.): Hexenprozess und Staatsbildung

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Titel
Hexenprozess und Staatsbildung. Witch-Trials and State-Building


Herausgeber
Dillinger, Johannes; Jürgen, Michael; Schmidt, Dieter R., Bauer
Reihe
Hexenforschung 12
Erschienen
Bielefeld 2008: Verlag für Regionalgeschichte
Anzahl Seiten
350 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Die anzuzeigende Kollektivpublikation, die im Kern auf eine bereits 2002 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart abgehaltene, hochkarätig besetzte Tagung zurückgeht, ist einer in der neueren Hexenforschung rege diskutierten Fragestellung gewidmet. Dabei besteht ein breiter Konsens, was die Grundannahme bezüglich des Themas betrifft: War man Ende der 1970er Jahre noch davon ausgegangen, dass ein sich modernisierender frühneuzeitlicher Staat im Zuge seiner Zentralisierung zur Hexenverfolgung griff, um lokale Partikularismen einzuebnen – die hier verkürzt wiedergegebene «Akkulturationstheorie » ist unauflöslich mit Robert Muchembled verbunden –, so hat sich in heutiger Zeit die Ansicht durchgesetzt, dass Hexenverfolgungen weniger das Proprium eines starken Staates waren, sondern vielmehr Anzeichen für die Schwäche staatlicher Strukturen. Starke, zentralisierte Monarchien – das Paradebeispiel ist Frankreich – erwiesen sich als tendenziell verfolgungsarm; eine hohe Verfolgungsintensität kannte hingegen das Reich mit seiner herrschaftlichen Zersplitterung und seinen ungezählten Klein- und Kleinstherrschaften.

Dieser Sachverhalt erfährt nun im vorliegenden Sammelband eine vertiefte Diskussion: Nach den einleitenden Überlegungen von Johannes Dillinger zu Hexerei und entstehender Staatlichkeit stellt sich der Mediävist Richard Kieckhefer der Frage nach der Rolle der weltlichen Verfolgungsinstanzen in den frühen, d. h. spätmittelalterlichen, Hexenprozessen. In diesem Zusammenhang weist er auf das scheinbare Paradox hin, dass in den 1430er Jahren der weltliche Hexenrichter Claude Tholosan sowie – rund ein halbes Jahrhundert später – der Dominikaner Heinrich Kramer (Letzterer im berühmt-berüchtigten Hexenhammer) die weltlichen Obrigkeiten zur Verfolgung von Hexen aufriefen, obwohl zu diesem Zeitpunkt säkulare Gerichte bereits mit der Repression angeblicher Teufelsbündlern befasst waren. Kieckhefer versucht, diesen vordergründigen Widerspruch auszuräumen, indem er auf die persönliche Motivation der beiden Verfolger und Traktatautoren verweist: «They were not arguing that secular judges could act against witches: secular courts already were doing so, apparently without significant qualms or opposition. But they were attempting to motivate these judges to emulate their own proactive manner of prosecution» (38). Lässt sich dieser Erklärung für den «Wanderinquisitor» Kramer, der für die von ihm initiierten Verfolgungen immer wieder um die Unterstützung der geistlichen und weltlichen Herrschaftsträger nachsuchen musste, zustimmen, so wird man im Fall von Tholosan wohl dessen politisches Umfeld stärker in Betracht ziehen müssen, namentlich die gewollte herrschaftliche Durchdringung des Gerichtswesens im Delphinat, in dem Tholosan tätig war, durch die französische Krone.

Eine schöne Illustration für die angesprochene These, wonach Hexenverfolgungen ein Zeichen staatlicher Schwäche waren, bieten die kontrastierenden Exempel England und Schottland, die von James A. Sharpe bzw. Brian P. Levack beleuchtet werden: Während es der englischen Monarchie gelang, mittels zentralisierter Justizorgane die Zahl der Hexenfälle vergleichweise niedrig zu halten (die mit den Namen von Matthew Hopkins und John Stearne verbundene Hexenpanik in Ostengland in den Jahren 1645–1647 bestätigt insofern die Regel, als infolge des Bürgerkrieges die Zentralgewalt geschwächt und die regelmässigen Tourneen der mobilen Assizenrichter unterbrochen waren), führte die in Schottland übliche Delegation von Justizrechten an untergeordnete Stellen zu einer weitaus höheren Verurteilungsrate («This practice of authorizing witchcraft trials by local commissioners had devastating consequences for accused witches», 88). Weitere Falluntersuchungen betreffen Spanien (Iris Gareis), wo die Inquisition als kirchliche und königliche Doppelbehörde die Hexenverfolgungen zu monopolisieren suchte, Flandern (Jos Monballyu), wo der Provinzialjustizrat gegenüber den untergeordneten Gerichten auf die Einhaltung ordentlicher Verfahren pochte, Russland (William F. Ryan), dessen Entwicklung sich ausserhalb westeuropäischer Modelle bewegte, sowie verschiedene deutsche Reichsterritorien, die von Jürgen Michael Schmidt, Martin Zürn, Rita Voltmer und Robert Walinski-Kiehl vorgestellt werden.

Jürgen Michael Schmidt liefert am Beispiel von Südwestdeutschland, das sich insofern in besonderem Masse für eine Betrachtung anbietet, als es zu den Reichsgebieten mit der grössten territorialen Zersplitterung zählte, einen kompendiumsartigen Beitrag mit den Schwerpunkten Württemberg und Kurpfalz. Die beiden protestantischen Fürstentümer gehörten zu den grösseren Territorien im Untersuchungsgebiet, wobei sie sich «mit ihrer fortgeschrittenen territorialen Staatlichkeit in Bezug auf die Hexenverfolgung ähnlich verhielten wie die grossen europäischen Nationalstaaten: Sie bremsten oder beendeten die Verfolgungen» (153). Gleichsam das Gegenmodell dazu bietet Martin Zürn mit seinen Überlegungen zu den oberschwäbischen Hexenprozessen in einem herrschaftstopographisch völlig zerklüfteten Umfeld, das von kleinsträumigen, «kryptostaatlichen» Verhältnissen geprägt war. Auch da bewahrheitet sich die Faustregel, dass die Verfolgungsintensität dort am höchsten war, wo lokale Gerichtsherren um den Bestand ihrer Justizrechte kämpften. Im Gegensatz dazu wurde «im österreichischen Herrschaftsbereich mit Hexenprozessen relativ behutsam umgegangen». Das «Verlangen der oberösterreichischen Regierung, das regionale Justizwesen zu beaufsichtigen und Hexenjagden zu begrenzen, endete aber dort, wo man loyalen Vasallen die eigenständige Blutjustiz gestatten musste» (197). Rita Voltmer, die zweifellos beste Kennerin des Hexenphänomens im Rhein-Maas-Mosel-Raum, thematisiert in ihrem Aufsatz die Erscheinung der auf privater Basis gemeindlich organisierten Klagekonsortien, die belastende Aussagen gegen missliebige Personen sammelten und Prozesse anstiessen. Der «Erfolg» dieser Ausschüsse mass sich daran, wie weit die amtlichen Justizorgane und Gerichtsherren mit ihnen kollaborierten. Im Gegenzug auf diese Sicht «von unten» lenkt Robert Walinski-Kiehl den Blick auf die Spitze der politischen Pyramide, wo er am Beispiel der fränkischen Fürstbistümer Bamberg und Würzburg den Verfolgungseifer der örtlichen Fürstbischöfe unterstreicht («Throughout Catholic Germany, witch-persecutions were more likely to occur in those states that were governed by especially virtuous princes who were imbued with an intense reforming mission», 253).

Mit den theoretischen Grundlagen der Hexenverfolgungen beschäftigen sich Claudia Opitz, welche die Gemeinsamkeiten zwischen Jean Bodin, dem Staatstheoretiker, und Jean Bodin, dem Dämonologen, nachzeichnet, und Stuart Clark. Letzterer geht die Hexen verfolgung aus der entgegengesetzten Richtung an, indem er nicht den Standpunkt des Hexenverfolgers einnimmt, sondern auf Seiten der Skeptiker den Berührungspunkten zwischen Staatstheorie und skeptischem Hexereidiskurs nachspürt. Nur tangential zum Thema des Bandes steht Sabine Doering-Manteuffel mit ihrem Beitrag zum aufklärerischen Pressewesen, das für eine Welt steht, in der «Hexenvorstellungen und Hexenprozesse [...] keinen Platz» hatten (301). Dass die damit angesprochene schrittweise Marginalisierung des Hexenglaubens keine allgemeine Gültigkeit hat, zeigt der Aufsatz von Johannes Harnischfeger zu Hexereiverdächtigungen und der damit einhergehenden Gewalt im zeitgenössischen Afrika.

Den Schlusspunkt zu diesem gehaltvollen Band, um den in Zukunft niemand herumkommen wird, der sich mit den politischen Hintergründen der Hexenverfolgungen beschäftigt, setzt Wolfgang Behringer, der das Hexenwesen im Sinn eines Versuchs in den Bezugsrahmen der Modernisierungstheorie stellt und zum Schluss kommt, dass sich Theorien «ab einem gewissen Abstraktionsgrad [...] kaum mehr widerlegen» lassen. «Leider lassen sie sich auch kaum mehr belegen» (331–332), so dass sich der Blick, so unsere Folgerung, wiederum konkreten Menschen und dem von ihnen Erlebten zuwendet.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Johannes Dillinger/Jürgen, Michael; Schmidt, Dieter R., Bauer (Hg.), Hexenprozess und Staatsbildung. Witch-Trials and State-Building, Bielefeld, Verlag für Regionalgeschichte, 2008. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 550-552.

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